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Mittwoch, 13. Oktober 2010

Firmenabwicklung: Totgesagte sterben länger - Firmenabwicklung

Totgesagte sterben länger

Mittwoch 13.10.2010, 10:59 · von FOCUS-Online-Autor Florian Flaig
JOEXX/photocase Bis zur endgültigen Schließung eines Unternehmens ist es ein schmerzensreicher Weg
Insolvenzen gibt es täglich, aber die Abwicklung von Firmen dauert meist Jahre. Der Tod eines Unternehmens ist in den Medien kurz und schmerzhaft, doch in Wahrheit lang und leise.
Nach fast 100 Jahren Firmengeschichte bleibt nur eine Orchidee. Elke Kämpfer packt die Blume ein. Die zierliche blonde Frau ist die letzte von ehemals 100 Mitarbeitern der früheren Fürther Druckerei Kunstanstalt Krugmann, die im Februar 2010 in Insolvenz ging und seit Mitte des Jahres abgewickelt wird. Nun, Anfang Herbst, läuft Elke Kämpfer ein letztes Mal vorbei an den leeren Büros, in denen nur noch die Abdrücke der Schreibtische auf den Teppichen davon zeugen, dass von hier einmal ein international erfolgreiches Unternehmen geführt wurde. Vorbei am Büro des ehemaligen Chefs, in dem ein schwarzer, rechteckiger Fleck erahnen lässt, dass dort einmal ein Bild an der Wand hing. Zum Schluss schließt Elke Kämpfer die Haupttür des riesigen Bürotrakts ab. Es ist das letzte, was die Mitarbeiterin zur Abwicklung des Traditionsunternehmens beiträgt.

Den Rest wird Stefan Waldherr übernehmen. Er ist der Insolvenzverwalter der Kunstanstalt Krugmann GmbH. In den kommenden Monaten und Jahren wird er den Bürotrakt verkaufen, die Gläubiger entschädigen und das Unternehmen liquidieren.

Keiner stirbt allein

Insgesamt gibt es in Deutschland nach Angaben des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) rund 1800 dieser Experten. 800 von ihnen haben die Mitarbeiter und die Kapazität, größere Firmen in der Insolvenz zu betreuen. Nur eine Hand voll kommt in Frage, wenn es um die Vorzeigeunternehmen der Republik geht: Darunter Michael Pluta, der den Modellbahnhersteller Märklin in der Insolvenz betreute, Michael Jaffé, der Quimonda-Beauftragte oder Klaus Görg, der Karstadt an den Investor Nicolas Berggruen verkaufte.

Bereits diese Aufzählung zeigt, dass Pleiten an der Tagesordnung sind und auch prominente Opfer fordern. Das Statistische Bundesamt wies für 2009 bundesweit 39320 Unternehmensinsolvenzen aus. „Nach meiner Erfahrung lässt sich von den angeschlagenen Unternehmen etwa die Hälfte sanieren und erhalten“, schätzt der Insolvenzverwalter Stefan Waldherr. Sanieren bedeutet, dass sich das Unternehmen entweder mit einigen staatlichen Finanzspritzen am eigenen Schopf aus der Insolvenz ziehen kann oder einen Investor findet, der die Firma oder zumindest Teile des Betriebs übernimmt. Ist das nicht der Fall, bleibt nur noch die Abwicklung. Der Tod des Unternehmens.

Der Insolvenzantrag kommt meist zu spät

Die harten Statistiken sprechen allerdings eine andere Sprache. Denn auch wenn es Experten immer wieder gelingt, ein totgesagtes Unternehmen wieder flott zu machen: Die 50 Prozent Rettungschance von Waldherr gelten nur bei Betrieben, die den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten haben. Rechnet man die Karteileichen dazu, also jene Firmen, die zwar pro forma noch existieren, aber schon lange nicht mehr am Markt agieren, kommt man zu deutlich hässlicheren Zahlen: Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) geht davon aus, dass über 90 Prozent aller insolventen Unternehmen in der Versenkung verschwinden und abgewickelt werden. Der Insolvenzverwalter Sebastian Laboga meint: „In vielen Fällen ist bei der Stellung des Invsolvenzantrags der Zusammenbruch des Unternehmens schon so weit fortgeschritten, dass der point of no return überschritten wurde. In diesen Fällen kommt nur noch eine Abwicklung in Betracht.“

Operation am offenen Herzen

In der Rolle des Zerstörers sehen sich die meisten Insolvenzverwalter trotzdem nicht. „Für mich ist es immer ein Ansporn, ein Unternehmen zu retten, das in Insolvenz geht. Eine Art Jagdinstinkt“, sagt Waldherr, als er durch die leeren Hallen der Kunstanstalt Krugmann geht. Ohnehin passt er so gar nicht in das öffentlich kolportierte Bild eines Insolvenzverwalters. Waldherr ist braun gebrannt, statt in Juristendeutsch drückt er sich sehr direkt und lebensnah aus: Statt von Freistellungen spricht er von Kündigungen, seine Tätigkeit als Insolvenzverwalter beschreibt er als Rettungsaufgabe. Er ist ein Motivator, der den Arbeitern wieder Hoffnung geben kann, kein introvertierter, sturer Paragraphenreiter. „Eine Insolvenz, das ist für mich immer die Frage: Schaffen wir es als Team, das Unternehmen zu sanieren? Da müssen alle Verfahrensbeteiligten mitziehen.“

Am Rosenmontag ging nichts mehr

Während Waldherr durch die leeren Produktionshallen der ehemaligen Druckerei läuft, erklärt er, wie es für die Kunstanstalt Krugmann bis zur Abwicklung gekommen ist. Das Unternehmen ist ein klassischer Fall: Lange Zeit hatte die Firma einen hervorragenden Ruf, stellte Etiketten für Flaschen her – unter anderem für Rotkäppchen Sekt, Jim Beam Whiskey oder Kölnisch Wasser. Doch die heute leeren Büros zeigen auch: Die Druckerei ist in den späten 80-er Jahre stecken geblieben geblieben. Teppiche und Tapeten erinnern fast schon an DDR-Schick. Krugmann verpasste Mitte der 90-er Jahre den technischen Anschluss, investierte nicht mehr in neue Maschinen und Drucktechniken, geriet gegenüber der Konkurrenz ins Hintertreffen. Bereits 2008 war klar: Nichts geht mehr. Doch die Firmenführung peitschte das Unternehmen weiter, ritt es immer tiefer in die Schulden. Am 15. Februar 2010, Rosenmontag, geht dann nichts mehr. Insolvenz.

Nur Stunden nach der Bankrotterklärung klingelt das Telefon in Stefan Waldherrs Kanzlei. Er soll die Druckerei betreuen. Für den Insolvenzverwalter und sein Team bedeutet dieser Auftrag Arbeit unter Hochdruck. Sofort fährt Waldherr mit seinen Mitarbeitern in die Fürther Innenstadt. Keiner im Team ist ausgewiesener Experte für die Druckerbranche. Waldherr wird dahin gerufen, wo nichts mehr geht – egal ob das bei einem Hersteller von Satellitenkopfstationen, einem Produzenten von Patronenhülsen oder einem Autohaus ist. „Nach zwanzig Jahren im Geschäft habe ich schon fast jedes Unternehmensmodell betreut“, sagt Waldherr.

Wettlauf mit der Zeit

Eines ist dabei immer gleich: Die ersten Tage einer Insolvenz sind entscheidend – sie gleichen einer Notoperation am offenen Herzen. Maximal drei Tage haben die Experten über den Daumen gepeilt Zeit, sich über den Zustand des Unternehmens bewusst zu werden und einen neuen Business-Plan zu erstellen. Normalerweise dauert diese Planung Monate, doch jetzt zählt jede Minute, denn wenn eine Firma führungslos und ohne Plan in die Insolvenz schlittert, sind auch die noch verbliebenen Kunden schneller weg, als den Verwaltern lieb ist.

Für das Insolvenzteam bedeutet das nächtelang Akten wälzen, die oft unsortierte Buchhaltung des Unternehmens prüfen, die Marktlage analysieren und vor allem die Mitarbeiter neu motivieren. Oft ist die Lage katastrophal, wie Sebastian Laboga beschreibt: „Die wesentlichen Kunden haben bereits die Zusammenarbeit beendet und es kommt kein Geld mehr in die Kasse. Know-How-Träger haben schon vor Monaten gekündigt und das Unternehmen verlassen. Eine Stilllegung ist dann fast unausweichlich.“
Bei der Fürther Druckerei hätte die Rettung dennoch klappen können. Die Mitarbeiter hatten ihr Gehalt bis zur Insolvenz regelmäßig erhalten, die Kunden hatten noch nicht die letzte Hoffnung verloren und auch viele Facharbeiter waren noch da. Selbst der Anspruch auf das so genannte Insolvenzgeld bestand noch. Das bedeutet: Der Staat übernahm drei Monate lang das Gehalt der Mitarbeiter. Waldherr hatte damit also drei Monate Zeit, das marode Unternehmen wieder in den Markt zu katapultieren. Allerdings war am Ende dieser Galgenfrist klar: Der Betrieb schafft es nicht. Kein Investor hatte Interesse, letzten Endes hätte doch zu viel Geld investiert werden müssen, um das Unternehmen auf den aktuellen technischen Standard zu bringen. Die Abwicklung und damit die Kündigung fast aller Mitarbeiter war unausweichlich: „Dutzende Kündigungen auszuschreiben ist eine emotionale Belastung, schließlich entwickelt man zu vielen Mitarbeitern während der Insolvenz auch einen persönlichen Bezug“, sagt Verwalter Waldherr.

Ausgepresst wie eine Zitrone

Mit der Entscheidung zur Abwicklung folgt eine Vollbremsung der Kosten. Sobald die Kündigungen ausgesprochen sind, der Zeitplan für den Personalabbau steht und somit die finanziellen Fragen geklärt sind, geht es an die Substanz der Firma.

Jeder Cent, der dann noch ausgegeben wird, ist streng genommen einer zu viel, denn er schmälert die so genannte Masse. Masse, das ist der Wert der Firma in Euro beziffert – also das, was die Gläubiger des Unternehmens als Zahlung erwarten können. Sie ist die oberste Messgröße nach der sich die Insolvenzverwalter richten. Ihre Messlatte. Die Masse wird zu Beginn der Insolvenz bestimmt und darf nicht kleiner werden. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes machen klar wieso: Mit der Masse müssen die Insolvenzverwalter die Schulden bei den Gläubigern bezahlen. Über 80 Milliarden Euro verlangten Gläubiger von insolventen Firmen im letzten Jahr zurück. Um diese Forderungen zu befriedigen, werden die Unternehmen bei der Abwicklung ausgepresst wie Zitronen: Was in der Firma noch verkäuflich ist, wird verscherbelt. Von der Industriemaschine bis zum Bleistift.

Mit Tesa-Streifen zum Erfolg

Für das Team von Insolvenzverwalter Waldherr heißt das in der Praxis: Kleben. Jedes Inventarstück – von der Druckerpresse über das Bild im Büro des Chefs bis hin zu Bürostühlen – mussten sie mit einer Nummer katalogisieren. Das letzte Überbleibsel der Kunstanstalt Krugmann ist heute eine antike Druckerpresse, die in der Eingangshalle steht. Stück Nummer 004 – sagt der gelbe Aufkleber, der an den Kuckuck eines Gerichtsvollziehers erinnert.
Dass ausgerechnet diese Rarität übrig geblieben ist, ist kein Zufall. Gerade die teuren Industriemaschinen kann der Insolvenzverwalter in der Regel nicht zu Geld machen – denn diese gehören meist schon lange Banken und werden binnen Wochen abmontiert, sobald die Liquidierung des Unternehmens besiegelt ist. Bleiben die Einrichtungsgegenstände als Einnahmequelle. Bürostühle, Tische, Telefone, Aktenordner, Heftklammern. Es ist die komplette Ausweidung des Unternehmens. Das Inventar weckt Interesse bei anderen Geschäftsleuten, die Schnäppchen machen wollen. Auch ehemalige Mitarbeiter tummeln sich auf den Auktionen: „Bei den Versteigerungen sind oft frühere Angestellte, die sich den Bürostuhl ersteigern, auf dem sie jahrelang gesessen haben“, sagt Stefan Waldherr.

Betriebswirtschaft rückwärts gedacht

Nach dem großen Ausverkauf herrscht Leere. Vereinzelt liegen in den Produktionshallen noch Etiketten oder Holzpaletten herum. Ein paar leere Stahlregale, sonst nichts. Nur eine Notmannschaft bleibt an Bord. Die Bürotätigkeit wird auf das absolute Minimum heruntergefahren – wenn überhaupt noch Möbel da sind, auf denen die wenigen Beschäftigten arbeiten und die Firma abwickeln können. Es ist Betriebswirtschaft rückwärts gedacht. Kein Gewinn, keine Kosten: Ausgaben dürfen nicht länger anfallen, als es unbedingt nötig ist. Egal ob es sich um die Mitarbeitergehälter, Strom- und Heizkosten oder die Telefonrechnung handelt.

Elke Kämpfer war die letzte Angestellte, die die Kunstanstalt Krugmann Geld kostete. Ihr Name, sagen ihre Wegbegleiter, sei bei ihr Programm. Die Kämpferin habe sich bis zum letzten Moment für die Firma zerrissen. Doch als sie den Schlüssel am Haupteingang im Schloss dreht, hat auch ihr Kampf ein Ende.

Ladenhüter gibt es immer

Die Kunstanstalt Krugmann ist nunmehr nur noch ein leerer, 9000 Quadratmeter großer Betonklotz in der Fürther Innenstadt. Zumindest die Lage ist attraktiv, potenzielle Käufer gibt es genug. Bei anderen Gewerbeimmobilien, zum Beispiel in den neuen Bundesländern, ist dagegen viel Geduld gefragt. Es kann manchmal Jahre dauern bis ein Interessent gefunden wird. Manch ein Insolvenzverwalter sagt scherzhaft, diese Fabrikhallen liegen wie Blei in den vermeintlichen Verkaufsregalen.

Der Verkauf des Betriebsgeländes ist meist der letzte öffentliche Akt einer Abwicklung. Ein Unternehmen stirbt in den Medien meist plötzlich, doch in Wirklichkeit erleiden Traditionsfirmen einen langen und siechenden Tod. Das letzte Kapitel ist Juristerei in ihrer reinsten Form: Schließlich dauert es, offene Rechnungen zu stellen und dann auch einzufordern. Oder auch Prozesse zu führen, falls die Rechnungen nicht bezahlt werden. Danach folgt ein Kniefall vor der Bürokratie: Abschließende Steuererklärungen und Jahresabschlüsse und ganz am Ende ein bei Gericht eingereichter Schlussbericht.
Erst dann hat das langsame Sterben eines Unternehmens seinen Abschluss gefunden. „Das Ende einer Abwicklung ist kein großer Knall, sondern eher ein leises Wimmern in einem Büro“, sagt Insolvenzverwalter Laboga. Die Grabreden wurden schon Jahre zuvor angestimmt, doch das Herz des Unternehmertums hat erst jetzt aufgehört zu schlagen, nachdem es noch lange leise und schwach vor sich hin gepocht hat.

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