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Samstag, 30. Oktober 2010

Geldpanscher treiben Anleger in Rohstoffe - WELT ONLINE

Schätze der Erde verzeichnen stärksten Preisanstieg seit zwei Jahren - Platin, Silber, Kupfer, Aluminium und Mais als Alternative zu Papiergeld

Von Daniel Eckert und Holger Zschäpitz

Berlin - Die Währungen der Welt sind haltlos geworden. Alternativen zu Geld als Wertaufbewahrungsmittel sind gefragt wie selten zuvor. Der Antrieb dahinter: Während sich Papiergeld beliebig vermehren lässt und zunehmend auch vermehrt wird, sind andere Dinge von Natur aus knapp. Sie entziehen sich der allzu eilfertigen Manipulation: Ihr Wert kann daher nicht so leicht weginflationiert werden.

Zu den knappen und damit begehrten Waren zählen Kunst, Luxusgüter und Sammlerstücke, und nicht zuletzt Rohstoffe. Die Schätze der Erde sind an den weltweiten Kapitalmärkten gefragt. Dort erleben Öl, Silber, Platin, aber auch Weizen und Mais eine lang anhaltende Hausse. Bei dem gelben Korn gab es zu Wochenbeginn einen der kräftigsten Preissprünge der vergangenen Jahre. In allein zwei Handelstagen legten die Mais-Notierungen 15 Prozent zu.

Der CRB Rohstoffindex, der 19 wichtige "Commodities" umfasst, kletterte am Montag auf 296 Punke und damit den höchsten Stand seit Oktober 2008. Damit hat er die seit Mitte 2009 andauernde Seitwärtsbewegung hinter sich gelassen. Der Rohstoffmarkt ist drauf und dran, die Finanz- und Wirtschaftskrise endgültig abzuschütteln.

Die meisten Rohstoffe notieren bereits über oder in der Nähe ihres Standes von vor dem Lehman-Debakel, das die Weltwirtschaft in die schwerste Krise seit den 30er-Jahren stürzte. Allein Öl ist noch weit von seinem Rekord bei 150 Dollar je Fass (Barrel) entfernt, doch zuletzt hat sich auch der Energieträger deutlich verteuert.

Zu den vom CRB Index abgedeckten Rohstoffen zählen Öl, Erdgas, Gold, Mais, Soja, Rindfleisch, Baumwolle, Kaffee und Kakao. Da sich die schwer gewichteten Energieträger jedoch unterdurchschnittlich entwickelt haben, macht der CRB das wahre Ausmaß der Rohstoff-Rallye nicht deutlich.

Für die privaten Verbraucher ebenso wichtige Rohstoffe haben sich sehr stark verteuert. Baumwolle kostet heute 54 Prozent mehr als zu Jahresanfang, Kaffee 30 Prozent, Zucker 20 Prozent und Fleisch 14 Prozent. Zum Vergleich: Der Preis für Öl hat nur unwesentlich zugelegt. Blei und Zink gehören zu den ganz wenigen Rohstoffen, die sich dieses Jahr verbilligt haben.

Die Superrallye der Rohstoffe ist nicht allein durch Veränderungen von Angebot und Nachfrage zu erklären. Zwar verschlingt die Industrialisierung der großen Schwellenländer immense Mengen an Erzen und Energie. Doch gleichzeitig bleibt die Nachfrage aus den entwickelten Volkswirtschaften wegen deren blutarmen Wachstums gering. Den wahren Grund liefern die Zentralbanken und Finanzminister der Industriestaaten.

In ihrem verzweifelten Kampf gegen die Krise haben sich Notenbanker und Finanzpolitiker aufs Geldpanschen verlegt: Sie verwässern den Wert von Euro, Dollar, Yen und anderen Devisen, damit der Finanzsektor und die Industrie wieder flüssig werden.

Den Schaden drohen die Sparer zu haben und mit ihnen alle, die ihre Altersvorsorge auf Sparbücher und -briefe, Tagesgeldkonten oder Lebens- und Rentenversicherungen gründen. Viele verunsicherte Anleger sehen inzwischen keinen anderen Ausweg mehr, als sich auf die Suche nach neuen Wertaufbewahrungsmitteln zu machen.

"Gold und andere Rohstoffe bekommen starken Rückenwind durch die weltweite Geldpolitik", sagt Michael Jansen, Analyst bei der US-Bank JP Morgan. Neue Anlagevehikel auf Rohstoffe hätten gute Chancen, begeisterte Aufnahme bei der Investorenschaft zu finden.

Indexfonds auf Gold machen vor, wie es geht: Zusammen vereinigen die Produkte, die Anlegern das Eigentum an einer bestimmten Menge Gold verbriefen, inzwischen mehr als 2000 Tonnen des Edelmetalls auf sich. Damit horten die auch als Exchange Traded Funds (ETF) bekannten Produkte zusammengerechnet schon jetzt doppelt so viel wie die Schweizer Nationalbank.

Auch auf Silber, Platin und Palladium sind bereits Indexfonds auf dem Markt, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Geplant sind weitere Produkte, die die Metalle physisch lagern. Für Kupfer, Aluminium, Zink, Nickel und Blei sind Indexfonds in der Mache. Kommen sie auf den Markt, könnte das die Rallye weiter anfeuern. Denn damit würde eine neue mächtige Gruppe von Nachfragern hinzukommen.

Deutsche-Bank-Analyst Daniel Brebner hat ausgerechnet, was es bedeuten würde, wenn auf Industriemetalle ETF aufgelegt würden. Sein Ergebnis: Bei Blei könnten 89 Prozent der aktuellen Lagerbestände von den Indexfonds absorbiert werden, bei Kupfer 65 Prozent, bei Zink 28 Prozent und bei Aluminium immerhin noch 13 Prozent. Auf die Industrie und damit die Verbraucher würden unweigerlich höhere Preise zukommen. "Wir erwarten einen starken Effekt auf den Komplex der Industriemetalle", schreibt Brebner. Der Goldpreis wird seiner Einschätzung nach bereits durch die Fonds und die von ihnen georderten Volumina bestimmt.

Ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. Vielmehr könnte die expansive Geldpolitik der Notenbanken einen neuen Jahrhundertzyklus bei Rohstoffen hervorbringen. Auch die Rallye der 70er-Jahre war durch die Lottergeldpolitik der Notenbanken und Finanzminister mitbedingt. Durch die Trennung der Leitwährung Dollar vom Gold hatte das internationale Geldsystem seinen Anker verloren. Der Goldpreis kletterte von rund 42 Dollar auf 850 Dollar je Feinunze.

Erst als Paul Volcker als Chef der Federal Reserve und andere Notenbanker das Vertrauen in Papiergeld wiederherstellten, ebbte die Rohstoff-Hysterie ab. Doch ein neuer Paul Volcker ist nicht in Sicht. Und ebenso wenig ein neuer Wertanker, der dem internationalen Geldsystem Halt geben würde.

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