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Freitag, 29. Oktober 2010

Geheimakte Griechenland : Wie Athen sich den Euro erschwindelte

Von NIKOLAUS BLOME, NIKOLAUS ­HARBUSCH, DIRK HOEREN, GEORGE KALOZOIS, ROLF KLEINE, EINAR KOCH, Ralf Georg Reuth, PAUL RONZHEIMER, DIETER SCHLÜTER und GEORGIOS XANTHOPOULOS

Im Frühjahr 2010 drohte das Schulden-Desaster der Griechen den Euro zu sprengen, machte gigantische Not-Kredite nötig. Doch: Wie kamen die Griechen überhaupt in den Euro? BILD-Reporter recherchierten in Athen, Berlin, Brüssel, sprach mit Beteiligten, fand geheime Dokumente: Die Griechen logen und alle anderen ließen sie gewähren.

Brüssel, Europa-Viertel, Mitte der 90er-Jahre: Die EU-Finanzminister ringen bei einem ihrer Treffen wieder einmal um das Aussehen der künftigen Euro-Banknoten. Der Deutsche Theo Waigel und sein griechischer Amtskollege Giannos Papantoniou geraten lautstark aneinander.

Teilnehmer schildern BILD den Wortwechsel so:

Papantoniou: „Ich verlange, dass Euro auch auf Griechisch auf den Scheinen steht!“

Waigel: „Das kommt überhaupt nicht infrage! Ihr könnt nicht beitreten und werdet wahrscheinlich nie beitreten.“

Doch Theo Waigel irrte.

Dies ist die Geschichte, wie Griechenland den Euro bekam. Es ist eine Geschichte von Tricksen und Täuschen, von immer neuem Weggucken und skandalöser Wurstigkeit.

Bislang geheime Dokumente und neue Hinweise zeigen: Es ist die Geschichte eines von Anfang an abgekarteten Spiels.

SPD-Finanzminister Hans Eichel persönlich wird die einzige öffentlich warnende Stimme von Belang zum Schweigen bringen.

Und es ist die Geschichte eines folgenschweren Irrtums: Dass ein so kleines Land wie Griechenland, ganz gleich, was es anstellt, niemals den Euro in Gefahr bringen könnte.

Doch fast genau zehn Jahre nach der Aufnahme Griechenlands stand der Euro im Frühjahr 2010 vor dem Kollaps.

Auslöser: Griechenland.

Milliarden flossen, um Griechenland zu retten, um den Euro zu retten.

Stellvertretend für viele in Berlin und Brüssel sagt heute einer der besten EU-Kenner an der Spitze des Auswärtigen Amtes: „Unser größter Fehler war es, Griechenland überhaupt in den Euro aufzunehmen.“

Aber wie konnte es dazu kommen? Wer hat Schuld?

BILD auf Spurensuche – in Athen, Brüssel, Wien, Bonn und Berlin.

Überall das Muster eines Krimis: Es gab das Motiv, es gab die Gelegenheit, es gab die Mittel.

Bei der Aufnahme der Griechen „handelt es sich um eine politische Entscheidung“, heißt es mehrfach in vertraulichen Dokumenten des Bundesfinanzministeriums, die BILD vorliegen.

„Politische Entscheidung“ – das ist das Beamten-Codewort für: „Die Leitung will es so, harte Fakten zählen nicht.“

Bedeutet: DASS Griechenland den Euro bekommt, stand zu keiner Minute infage.

Und beim WIE drückten alle die Augen zu. Die einen schummelten, was das Zeug hielt; die anderen ließen es zu. Heute wollen alle am liebsten schweigen.

Denn der Fall Griechenland deckt eine Lebenslüge Europas auf. Sie heißt: Groß ist gut. Mehr Euro-Mitglieder sind besser als wenige. Egal, ob ein Land KANN. Es reicht, wenn es WILL.

Und die Griechen wollten.

Dabei beginnt die Geschichte mit einem trockenen NEIN – gegen Griechenland.

Am Samstag, den 2. Mai 1998, kommen die Staats- und Regierungschefs der EU zum Euro-Sondergipfel nach Brüssel. Im rosafarbenen Granitbunker des „Ratsgebäudes Justus Lipsius“ hat der neue britische Premierminister Tony Blair den Vorsitz.

Die damals 15 Staats- und Regierungschefs beschließen, dass elf Staaten ab 1999 den Euro bekommen. Zuerst als „Buch-Währung“ für das Geschäft z. B. zwischen Banken, ab 1.1. 2002 auch als Bargeld. Dänemark und Großbritannien lehnen eine Teilnahme ab.

Das dauert eine knappe Viertelstunde.

Griechenland gehört nicht zum erlauchten Kreis. Wenig diplomatisch stellt das Gipfel-Kommunique fest: „Griechenland erfüllt kein einziges der (Beitritts-)Kriterien.“ Bei Inflation, Staatsdefizit, Gesamtverschuldung und Zinssatz liegt das kleine Land meilenweit über den vorgeschriebenen Werten.

Bis Mitternacht an diesem 2. Mai feilschen die Chefs beim offiziellen „Mittagessen“ um den ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). „Ein ganz ungewöhnlich hartes Ringen“, sagt Kanzler Helmut Kohl hinterher.

Von Griechenland redet niemand.

Einer am Tisch hört denn auch kaum mehr zu, als es um den EZB-Chef geht: Konstantinos („Kostas“) Simitis, seit 1996 Premierminister von Griechenland.

Für sein Land ist der Tag eine Demütigung: durchgefallen beim Euro-Examen. Doch als sich die Staats- und Regierungschefs zum Gipfel-Foto aufstellen, lächelt der fließend deutsch sprechende Simitis breiter als die meisten anderen. Als hätte sein Land mit Bravour bestanden.

Was weiß er in diesem Moment?

Zum Beispiel erinnert er sich an die streng vertraulichen Verhandlungen über das Design der künftigen Euro-Banknoten. Gegen alle Widerstände unter den EU-Finanzministern hatten die Griechen am Ende durchgesetzt, das der Name „Euro“ auch auf Griechisch auf die Banknoten kommt.

Der spätere Gewinner der Ausschreibung, der Wiener Banknoten-Grafiker Robert Kalina, hält sich an diese Vorgaben – obwohl Griechenland vorerst gar nicht qualifiziert ist.

Simitis weiß, welches hoch politisches Signal das ist.

Und er weiß noch mehr: Der Euro ist auf Teilnahme möglichst vieler Staaten angelegt. Bezeichnend für diese rein politisch motivierte Stoßrichtung: Wer nicht mitmacht, dem wird offiziell eine „Ausnahme“ von der Regel gewährt, teilzunehmen. Außerdem wollen die Finanzminister Griechenlands Fortschritte eventuell noch einmal prüfen – rechtzeitig, bevor das Euro-Bargeld kommt. Auch auf Theo Waigel können die Griechen dabei zählen.

Heißt zusammen: Mit Rückendeckung der anderen Staaten darf Griechenland ab Mai 1998 zur Aufholjagd starten.

Und hoffen, dass sie rechtzeitig ins Ziel führt.

Kein Wunder also: Die Abfuhr des 2. Mai löst im stolzen Griechenland keinen Protest aus. Im Gegenteil.

Die beiden wichtigsten Zeitungen „Kathimerini“ und „Eleftherotypia“ titeln: „Grünes Licht für den Euro 2001“.

So läuft Athens Euro-Plan B an: Beitritt noch rechtzeitig vor der für Anfang 2002 geplanten Ausgabe der Euro-Scheine und -Münzen. Dazu müssen sich die griechischen Zahlen für Inflation, Defizit und Verschuldung radikal verbessern – und zwar in nur 18 Monaten.

Eigentlich ist das unmöglich. Eigentlich sollen die Euro-Mitglieder Wirtschaft und Finanzen nicht als Punktlandung, sondern nachhaltig in Ordnung gebracht haben.

Und zwar VOR dem Beitritt.

Aber die Griechen haben die Hand auf ihren Zahlen – freie Hand: Da schrumpfen Hunderte Millionen Defizit zum Beispiel bei staatlichen Krankenhäusern einfach so am Telefon; riesige Rüstungsausgaben werden „kreativ“ verbucht; handschriftliche Abrechnungen werden korrigiert oder verschwinden gleich ganz.

Es schlägt die Stunde von Yannis Stournaras. Er ist Griechenlands wichtigster Mann für die Zahlen.

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