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Donnerstag, 9. September 2010

Tausend Polizisten suchen nach dem seit sechs Tagen vermissten Mirco

Die Chance schwindet von Tag zu Tag

Tausend Polizisten suchen nach dem seit sechs Tagen vermissten Mirco. Der Grefrather Fall wirft ein Schlaglicht auf verschwundene Kinder in Deutschland. Jeden Tag werden rund 250 Kinder als vermisst gemeldet.

Mit Plakaten sucht die Polizei in Grefrath nach Zeugen im Fall Mirco
08. September 2010 
Mit Plakaten sucht die Polizei in Grefrath nach Zeugen im Fall MircoVor sechs Tagen verschwand Mirco im niederrheinischen Grefrath. Der zehn Jahre alte Junge hatte am Freitag mit einem Freund auf einer Skater-Anlage im Stadtteil Oedt gespielt. Am Abend brachte er seinen Freund noch nach Hause. Als seine besorgte Mutter ihn gegen 21 Uhr anrief, machte auch Mirco sich auf dem Heimweg. Zuletzt wollen Zeugen ihn mit seinem Fahrrad an einer Bushaltestelle gesehen haben. Seither ist er weg. Fährtenhunde der Polizei nahmen zwar die Spur des Kindes auf. Doch sie verlor sich bei Wachtendonk-Vorst, fünf Kilometer nördlich von Grefrath.
Der Fall wirft wieder einmal ein Schlaglicht auf Kinder, die in Deutschland spurlos verschwinden. Jeden Tag werden laut Bundeskriminalamt rund 250 Kinder als vermisst gemeldet. Das sind fast 100 000 in jedem Jahr. In den allermeisten Fällen reißen sie nach einem Streit wegen schulischer oder anderer Probleme von zu Hause aus. Nach wenigen Tagen kehren sie von selbst zurück oder werden von der Polizei zurückgebracht. In den anderen Fällen tickt die Uhr: Das Kind könnte einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein. Denn anders als bei verschwundenen Erwachsenen nimmt man bei Kindern an, dass sie in Gefahr sind. Das galt zum Stichtag 1. Juli für 510 Kinder unter 14 Jahren, die dauerhaft vermisst waren.

Das Fahrrad lag 500 Meter vom Elternhaus entfernt

Koordiniert wird die akute Suche von der Polizei. Sie nimmt nicht nur die Vermisstenanzeige und die Hinweise der Bürger auf, sondern sucht selbst, oft mit immensem Aufwand. Am Mittwoch suchten wieder rund 1000 Einsatzkräfte mit mehreren Such- und Spürhunde aus ganz Nordrhein-Westfalen in einem zehn Quadratkilometer großen Gebiet westlich von Grefrath nach dem Jungen. Es handelt sich um den vielleicht größten Sucheinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Die Polizei hofft, den Jungen noch lebend zu finden. Doch die Chance schwindet von Tag zu Tag.
Immerhin fand die Polizei das Fahrrad des Jungen nur 500 Meter von seinem Elternhaus entfernt an einer Stelle, an der zwei Zeugen ein verdächtiges dunkles Auto gesehen haben wollen. Die Polizei hat Suchplakate aufgehängt und Handzettel ausgeteilt. Die Ermittler erhoffen sich vor allem auch Angaben zu dem dunklen Fahrzeug. Falls Mirco ein Handy dabei hatte, wird sich die Polizei an die Betreiber des Mobilfunknetzes wenden, um das Handy zu orten – sofern es eingeschaltet ist. In solchen Fällen weiß die Polizei dann aber auch nur, wo das Mobiltelefon ist, nicht aber die vermisste Person.

Ein wichtiger Akteur bei der Suche nach vermissten Kindern ist die Elterninitiative „Vermisste Kinder“. Seit 1997 unterstützt sie betroffene Eltern und Familien. Im Internet werden die Suchmeldungen der Initiative rund zwei Millionen Mal im Jahr angeklickt. Wer helfen möchte, kann sich mit der Nummer seines Mobiltelefons für das Notrufsystem „Amber-Alarm“ anmelden, das nach der 1996 in den Vereinigten Staaten entführten neun Jahre alten Amber Hagerman benannt wurde. Die Teilnehmer erhalten für zwei frei wählbare Postleitzahlen (beispielsweise des Wohnortes und des Arbeitsplatzes) die Suchmeldung für dieses Postleitzahlengebiet per Kurzmitteilung (SMS) auf ihr Mobiltelefon. Geeignete Mobiltelefone erhalten eine MMS, zu der auch ein Bild des vermissten Kindes gehört. Lars Bruhns, Geschäftsführer der „Elterninitiative Vermisste Kinder“, die das Notrufsystem betreibt, zählt die Vorteile des Amber-Alarms auf: „Er ist kostengünstig und flexibel. Wir suchen nicht einfach wahllos bundesweit, sondern gezielt in bestimmten Postleitzahlengebieten. Und wir wenden uns an geeignete Multiplikatoren, zum Beispiel an Taxifahrer. Das ist besonders auf dem Land und in Kleinstädten wichtig.“ Der Alarm sei schnell: Wenn ein Kind in Gefahr schwebt, kommt es auf jeden Tag, jede Stunde an.
In größeren Städten erscheinen Suchmeldungen auch auf den Anzeigetafeln der U- und S-Bahn-Stationen. Und es wird auf Plakaten in den Innenstädten gesucht. Dabei kann die Initiative kostenlos auf die Anzeigetafeln und auf die bis zu neun Quadratmeter großen Plakatflächen eines großen Unternehmens für Außenwerbung zurückgreifen. Auf die Initiative, die sich durch den Einsatz ehrenamtlicher Helfer und durch Sponsorengelder finanziert, kommen nur die Kosten für den Druck und das Anbringen der Plakate zu. Klassische Suchkanäle kommen hinzu: regionale Zeitungen und Radiosender.

Gebetsgottesdienst für Mirco

Manchmal besteht wegen eines Sorgerechtsstreits der Verdacht, dass das Kind ins Ausland entführt wurde. In diesem Fall wird auch über Videoportale im Internet gesucht, die vom Anbieter in dem betreffenden Land betrieben werden, wie zum Beispiel von www.dailymotion.com. Wenn Kinder lange verschwunden bleiben, wird die Suche noch schwieriger. Mit Kinderfotos nach einem Jugendlichen zu suchen hat wenig Aussicht auf Erfolg. Hilfe kommt in solchen Fällen von einem Computerprogramm zur Bildbearbeitung – und von Adolf Gallwitz, Professor an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen, einem Fachmann für „Age Progressing“, bei der das mutmaßliche Aussehen des älter gewordenen Kindes ermittelt wird. Dazu benötigt Gallwitz – neben einem Bild des verschwundenen Kindes – je ein Bild von Vater und Mutter in dem Alter, in dem das Kind verschwunden ist, sowie ein je ein aktuelles Bild beider Elternteile. Mit Hilfe des Bildbearbeitungsprogramms erstellt Gallwitz ein aktuelles Bild des Kindes. In den Vereinigten Staaten konnte man einen Jungen, der als Säugling verschwunden war, als Vierzehnjährigen anhand eines Bildes erkennen, das mit Hilfe von Age Progressing ermittelt worden war: „Es sah aus wie ein aktuelles Foto des Jungen.“
Im Fall Mirco muss es hoffentlich nicht so weit kommen. Viele Helfer opfern ihre Freizeit, um bei der Suche in dem zum Teil unwegsamen Gelände zu helfen, das durch den Regen der vergangenen Tage oft verschlammt ist. Vielleicht hilft auch Beten. Mircos Familie wird von der Christengemeinde Krefeld betreut, der sie angehört. In der katholischen Gemeinde St. Laurentius wiederum wird – auch unter Beteiligung der evangelischen Gemeinde – an diesem Donnerstagabend ein Gebetsgottesdienst stattfinden. Darauf haben sich die Freikirche und die beiden Gemeindekirchen geeinigt.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa

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